Pressemeldungen 2012
Gesetzentwurf über den Beauftragten des Freistaats Thüringen zur Aufarbeitung des Stalinismus und der DDR-Diktatur Drucksache 5/5217 Thüringer Landtag 5. Wahlperiode Hier: Stellungnahme der Stiftung Ettersberg
Der a. o. Gesetzentwurf wird von uns mit Erstaunen und Befremden zur Kenntnis genommen und einer ersten kritischen Beurteilung unterzogen.
Wir teilen das Regelungsbedürfnis zur Aufarbeitung des Stalinismus und der DDR-Diktatur in Thüringen nicht, da die Aufarbeitung seit Jahren von einer Reihe von Vereinen, Initiativen und Stiftungen engagiert betrieben wird. Diese sind aus der Zivilgesellschaft hervorgegangen und haben sich im Geschichtsverbund der Thüringer Aufarbeitungsinitiativen zusammengefunden und kooperieren dort gut. Daneben wirken die Landeszentrale für politische Bildung, die Kirchen und die politischen Stiftungen, um nur die wichtigsten zu nennen, an der Aufarbeitung der SED-Diktatur mit Veranstaltungen und Veröffentlichungen mit und tragen wirksam dazu bei, dass die Erinnerungen an die Diktatur und die Auseinandersetzung mit ihr nicht verblassen.
Die Beschreibung der Aufgaben des Beauftragten zur Aufarbeitung des Stalinismus und der DDR-Diktatur ist ebenso extensiv wie schwammig formuliert. Sie schafft in jedem Fall unnötige und kostspielige Doppelstrukturen der Institutionen in Feldern, in denen politischhistorische Bildung und Aufarbeitung von öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Einrichtungen bereits wahrgenommen werden.
Gerade die Schlüsselbegriffe der »Kooperation« und »Koordination« sind unklar und vieldeutig. Sie sind geeignet, eine übergeordnete Zuständigkeit im Felde der Aufarbeitung zu etablieren, die die Freiheit und die Pluralität der Aufarbeitung bis hin zur zeitgeschichtlichen Forschung beeinträchtigen und einen neuen bürokratischen Zentralismus der Aufarbeitung befördern könnte.
Im § 3 Ziffer 6 ist die ganze Widersprüchlichkeit dieser neuen Einrichtung, die querliegt zur Thüringer Aufarbeitungslandschaft und den Einrichtungen der politischen Bildung, mit Händen zu greifen: »Die Zusammenarbeit mit für politische Bildung zuständigen Stellen stellt einen Schwerpunkt des Landesbeauftragten dar. Der Landesbeauftragte kooperiert mit Opferverbänden und anderen öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen. Er koordiniert die Zusammenarbeit zwischen den Opferverbänden, den Haftgedenkstätten, Grenzmuseen und anderen Thüringer Institutionen, welche der Aufarbeitung der DDR-Diktatur dienen. Die jeweiligen Aufgaben der einzelnen Stellen bleiben dabei unberührt.«
Alle diese Vereine, Initiativen und Institutionen brauchen keine übergeordnete Koordinierungsinstanz. Sie kooperieren bereits im Thüringer Geschichtsverbund und koordinieren sich dort, wo es sachlich geboten ist. Die neue Behörde programmiert in jedem Fall grundlegende Konflikte mit den Aufarbeitungseinrichtungen in Thüringen vor, wenn der oder die Landesbeauftragte ihre Koordinierungskompetenz extensiv wahrnehmen. Denn die unbestimmte Aufgabenbeschreibung schafft mit etwas Fantasie Spielräume, die die Aufarbeitung in Thüringen unter Umständen dominieren und, wiederum mit etwas Fantasie, ein »Geschichtskombinat« heraufziehen lassen könnte, das sicher keiner der Antragsteller des Gesetzentwurfes will.
Weder der Geschichtsverbund noch die in ihm versammelten Aufarbeitungsinitiativen, Grenzmuseen und Stiftungen sind im Vorfeld konsultiert worden (außer vielleicht der TLSTU) und können deshalb nur mit Erstaunen und Befremden auf diesen Gesetzentwurf reagieren. Die Stiftung Ettersberg fordert öffentliche Anhörungen zu diesem Entwurf. Und sie empfiehlt ein gründliches Überdenken des gesamten Vorhabens, das auf jeden Fall so präzisiert werden muss, dass es nicht im Widerspruch zur freiheitlichen, pluralistischen und zivilgesellschaftlichen Aufarbeitungslandschaft in Thüringen steht.
Prof. Dr. Hans-Joachim Veen
Vorsitzender des VorstandesVeröffentlicht am 12. November 2012 um 09:00 Uhr