Zu DDR-Zeiten war das rote Backsteingebäude in der Andreasstraße ein gefürchteter Ort. Hier inhaftierte das Ministerium für Staatssicherheit (kurz: Stasi) auf zwei Etagen Menschen, die sich der SED-Diktatur nicht beugen wollten. Die üblichen Anschuldigungen waren: Spionage, Sabotage, Untergrundtätigkeit, antidemokratische Hetze. Später, nach dem Mauerbau 1961, kamen vor allem Menschen in Stasi-Untersuchungshaft, die versucht hatten, die DDR in Richtung Westen zu verlassen.

5.523 DDR-Bürger*innen saßen nach unserem derzeitigem Wissensstand in der Erfurter Andreasstraße aus politischen Gründen in Untersuchungshaft – abgeschottet von der Außenwelt und von einem regulären Strafverfahren ausgeschlossen. Ihren Haftalltag bestimmten Verhöre und Isolation, Desorientierung und Ungewissheit. Die meisten Häftlinge wurden nach der Untersuchungshaft zu Freiheitsstrafen verurteilt. Auch im Erd- und Untergeschoss des Gebäudes befanden sich Gefangene – im Gewahrsam der Volkspolizei. Und auch unter ihnen gab es politische Häftlinge, so zum Beispiel Männer, die den Militärdienst verweigert hatten.

Ein Ort der Disziplinierung und Bestrafung war die Andreasstraße nicht erst zu DDR-Zeiten. Seit 1878 wurden in der Andreasstraße Menschen inhaftiert. Zu einem Ort systematischer Unterdrückung politisch Andersdenkender wurde das Gefängnis aber erst während des Nationalsozialismus. Weil sie nicht dem Weltbild der Nazis entsprachen, wurden dort hunderte Frauen und Männer eingesperrt.

Harald Ipolt

*1959 in Gotha
Vorwurf: ›Staatsfeindliche Hetze‹ nach § 220 des Strafgesetzbuchs der DDR
Inhaftiert in der Andreasstraße von Juni bis Dezember 1978

»Ich saß mit drei anderen Häftlingen in einer Zelle. Arbeiten durften wir nicht. Wir schlugen die Zeit tot. Mein Glaube hat mir in dieser schweren Zeit Kraft und Halt gegeben. Wenn an Pfingsten oder zur Herbstwallfahrt der Klang der großen Glocke vom nahegelegenen Dom durch die dicken Gefängnismauern drang, schöpfte ich Hoffnung.«

Mit 18 Jahren will Harald Ipolt an den Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953 erinnern. Er schreibt mit Kreide auf Gothas Straßen ›Es lebe der 17. Juni‹. Für diese ›staatsfeindliche Hetze‹ wird er zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Nach sechs Monaten Untersuchungshaft im Stasi-Gefängnis in der Andreasstraße in Erfurt kommt Ipolt frei, allerdings nur auf Bewährung.

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Barbara Sengewald

*1953 in Karl-Marx-Stadt, heute Chemnitz
Oppositionelle in der DDR und Akteurin in der Friedlichen Revolution 1989

»Ende der 1980er Jahre traf ich mich fast täglich mit anderen Frauen. Wir diskutierten, formulierten offene Briefe, in denen wir die Verhältnisse in der DDR anprangerten, oder überlegten, wie wir ein ökumenisches Frauenzentrum ins Leben rufen können. Getroffen haben wir uns meist in Wohnungen, oft auch bei mir. Ich war alleinerziehend und hatte niemanden, der auf mein Kind aufpasste.«

Barbara Sengewald ist in der DDR in mehreren oppositionellen Gruppen und in verschiedenen Frauengruppen aktiv. 1989 gründet sie die Gruppe ›Frauen für Veränderung‹ mit. Diese mutigen Frauen initiierten am 4. Dezember 1989 in Erfurt die erste Besetzung einer Stasi-Zentrale in der DDR. Ihr Ziel: die bereits begonnene Vernichtung der Stasi-Akten stoppen.

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