Europäische Diktaturenforschung
Diktaturen haben viele Länder und Menschen tief geprägt und tun es noch. Die Stiftung Ettersberg widmet sich der Aufarbeitung von Diktaturen in Europa. Dabei schlägt die 1999 gegründete Stiftung mit Sitz in Thüringen Brücken zwischen zwei Welten, die immer noch viel zu oft getrennt voneinander existieren: die Welt der Wissenschaft mit ihren verallgemeinernden Forschungsergebnissen und die Alltagswelt der Menschen mit ihrer individuellen Lebensrealität. Das heißt konkret: Wir holen neue Erkenntnisse aus dem Labor der Wissenschaft heraus, bereiten sie verständlich auf und bringen sie durch vielfältige Bildungsangebote zu den Menschen.
Fast alle Länder in Europa haben in ihrer jüngeren Geschichte eine Diktaturerfahrung gemacht – auch wenn viele das vergessen oder verdrängt haben. Das gilt insbesondere für Deutschland, wo der Nationalsozialismus und die SED-Diktatur tiefe Spuren hinterlassen haben. Der Ettersberg in Weimar, den wir in unserem Namen tragen, steht für diese zweifache Diktaturerfahrung. Denn auf dem Ettersberg befand sich während der Zeit des Nationalsozialismus das Konzentrationslager Buchenwald und unmittelbar nach dem Krieg das ›Sowjetische Speziallager Nr. 2‹. Dieses war eines von insgesamt zehn Speziallagern in der sowjetischen Besatzungszone. In diesen Lagern inhaftierten die sowjetischen Besatzer nicht nur nationalsozialistische Funktionsträger und Kriegsverbrecher, sondern auch echte und eingebildete Gegner der sowjetischen Besatzungsherrschaft.
Aufgrund unseres Standorts in Thüringen liegt unserer Stiftung die Aufarbeitung der SED-Diktatur besonders am Herzen. Seit 2012 ist daher auch die Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße in Erfurt Teil der Stiftung. Zu DDR-Zeiten war dieser Ort eine Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit (kurz: Stasi), in der politisch Andersdenkende verhört und ihrer Freiheit beraubt wurden. Heute ist die ›Andreasstraße‹ beides: Ort der Erinnerung und Ort der Wissensvermittlung.
Einen kurzen Einblick in unsere Arbeit erhalten Sie auch durch das Leitbild der Stiftung.
Viele kluge Köpfe
Unsere Wurzeln und den Fokus unserer Aktivitäten haben wir ganz klar in Thüringen. Für unsere Stiftung und ihr Anliegen engagieren sich aber viele kluge und aufgeschlossene Köpfe aus ganz Deutschland in unseren Beiräten. Diese finden Sie hier. Dieses fundierte und breite Wissensnetzwerk macht unsere Stiftung besonders. Es hilft uns, unseren Blick immer wieder zu weiten und über den thüringischen Horizont hinauszublicken.
Wissenschaft und Wissen für alle
Der Brückenschlag zwischen der Welt der Wissenschaft und der Alltagswelt der Menschen gelingt uns dadurch, dass wir komplexe historische Sachverhalte und wissenschaftliche Erkenntnisse verständlich aufbereiten, sie in den historischen Gesamtkontext einordnen und mit der Lebensrealität der Menschen in Bezug setzen. Letzteres tun wir zum Beispiel, indem wir eng mit Zeitzeug*innen zusammenarbeiten. Wir regen die Menschen aber auch an, der Vergangenheit selbst auf den Grund zu gehen und ihr unmittelbares Lebensumfeld selbst zu erforschen. Oder wir machen uns gemeinsam mit ihnen auf die Reise hin zu neuen Erkenntnissen.
»Europäische Diktaturen erforschen und die wissenschaftlichen Ergebnisse der breiten Gesellschaft nahebringen – das ist ein schwieriger Brückenschlag, zugleich aber ein Fundament demokratischer Gesellschaften. Jorge Semprún hat den Deutschen diesen Forschungs- und Bildungsauftrag ans Herz gelegt und dafür den Ort vorgeschlagen, an dem er einst im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert war: den Ettersberg. Würde Semprún heute noch leben, wäre er gewiss sehr glücklich, zu sehen, wie die Stiftung Ettersberg seinen Auftrag mit Leben füllt. Auch ich freue mich, die Stiftung Ettersberg als Stiftungsratsvorsitzende bei diesem Auftrag begleiten und beraten zu dürfen.«
»Demokratie ist ja keine abstrakte Sache, sondern eine Praktik, die wir lebendig halten, immer wieder üben und auch an den jeweiligen Kontext anpassen müssen. Der Stiftung Ettersberg gelingt das sehr gut. Immer wieder geht sie auf Menschen an unterschiedlichen Orten zu. Sie macht Gesprächsangebote, regt in ihren Seminaren, Veranstaltungen und Ausstellungen dazu an, gängige Denk- und Handlungsmuster zu hinterfragen, und sensibilisiert für die ›Leerstellen‹ in unserer demokratischen Praxis. Was mir bei meinem Engagement für die Stiftung Ettersberg besonders wichtig ist: Dass wir immer wieder aufs Neue versuchen, Menschen zusammen zu bringen – egal welchen Alters, welchen Bildungsniveaus und welcher Herkunft.«
Direkter Draht zur Wissenschaft
Und noch etwas macht die Stiftung Ettersberg besonders und ist wichtig, damit der Brückenschlag zwischen der Welt der Wissenschaft und der Lebensrealität der Menschen gelingt: Viele der Menschen, die für unsere Stiftung arbeiten oder sich in den Gremien unserer Stiftung ehrenamtlich engagieren, arbeiten an Schnittstellen zwischen Theorie und Praxis, allen voran der Vorstandsvorsitzende unserer Stiftung, Jörg Ganzenmüller. Er forscht, lehrt und publiziert als Professor für Europäischen Diktaturenvergleich an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er hat also einen Fuß in der Forschung und einen in unserer Stiftung und kann so leichter zwischen den Welten vermitteln und immer wieder Brücken bauen.
Wissenschaft trifft Zeitgeist
Unsere Stiftung steht für innovative Bildungsangebote und zeitgemäße Formate. Deshalb wurde unsere Arbeit in den letzten Jahren mehrfach ausgezeichnet. 2020 erhielten wir den ›Museumspreis der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen‹ für unsere Arbeit in der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße. 2021 wurde ein Film, der bei einem unserer zahlreichen Workshops mit Jugendlichen entstand, mit dem ›Deutschen Generationen Filmpreis‹ gewürdigt. 2022 erhielten die Autor*innen unseres Podcasts ›Horchpost DDR‹ den ›Karl-Wilhelm-Fricke-Nachwuchspreis‹. 2023 wurde das digitale Angebot ›www.andreasstrasse.de‹ mit dem ›DigAMus Award‹ in der Kategorie ›Webseite oder Onlineausstellung‹ ausgezeichnet.